4 Wochen Reha
Hallo, da ich von einigen nach Updates gefragt worden bin, habe ich mich entschlossen, meinen Weg der Erkrankung auf diese Weise zu dokumentieren. Den letzten Blog, den ich verfasst habe, schrieb ich während meiner fast einjährigen Reise durch Südostasien 2009-2010. Damals wie heute fehlt mir die Zeit (heute eher die Kraft), jedem einzeln zurückzuschreiben. Dies hier wird also ein guter Weg sein, euch alle auf dem Laufenden zu halten.
Die Reha ist wirklich sehr gut. Die leitende Ärztin ist mit der Erkrankung ME/CFS vertraut, und man bemüht sich sehr, auf unsere speziellen Bedürfnisse einzugehen. Die Probleme sind leider nach wie vor systemisch bedingt. Die Krankenkasse gibt laut Plan eine bestimmte Anzahl an Stunden vor, die innerhalb von 6 Wochen abzuleisten sind. Für die meisten, mich eingeschlossen, ist das viel zu viel.
Mir wurden glücklicherweise einige Stunden gekürzt und wenn es dann doch mal zu viel werden sollte, kann ich entweder vor Ort in einen Ruheraum gehen oder erst gar nicht kommen, und die Stunden können eventuell an einem anderen Tag nachgeholt werden. Die Reha besteht aus mehreren Einheiten: Bewegungs- und Entspannungstherapie, Diätberatung, Arztgespräche einzeln und in der Gruppe, Atemmuskelübungen und kognitives Training.
Was mir auch sehr geholfen hat, war der Austausch mit anderen Patienten. Das hilft auf so vielen Ebenen. Man versteht sich und fühlt sich zum ersten Mal richtig verstanden von Menschen, die all das kennen, was man selbst vorher noch nie so erlebt hat. Es ist einfach total schwierig, jemandem den Zustand mit all den Symptomen zu beschreiben, die sich auch teilweise verändern.
Die Reha geht jetzt noch bis zum 15.02. Danach könnte ich mit Phase 3 beginnen. Diese dauert etwas länger, beinhaltet aber weniger Stunden und Termine pro Woche.
Wenn die Frage aufkommt, ob die Reha hilft, kann ich eindeutig sagen, dass sie mir durch Pacing und den Austausch mit anderen Patienten geholfen hat, besser mit der Krankheit klarzukommen. Man fühlt sich generell gut aufgehoben und verstanden von den Therapeuten und den leitenden Ärzten. Ich wurde in eine Studie aufgenommen durch Vermittlung der Reha und habe die Aussicht auf eine weitere.
Was meine körperliche und kognitive Verfassung anbelangt, hat sich, denke ich, nicht viel verändert. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Tinnitus, Geräuschempfindlichkeit und leider auch immer größere Schlafprobleme sind weiterhin vorhanden. Zwei Rehatage musste ich ausfallen lassen, weil ich mich so schlecht gefühlt habe, dass ich mir nicht zugetraut habe, den weiten Weg (45min) mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf mich zu nehmen. An solchen Tagen habe ich meist sehr schlecht geschlafen und wache bereits mit starken Kopfschmerzen auf. Da ist leider nicht viel mit mir anzufangen. Irgendwie frühstücken, wenn ich Glück habe, kann ich noch irgendwie ein bisschen Podcast hören, aber oft geht dann auch nur das Aussitzen bzw. Ausruhen. Mit Atemübungen oder autogenem Training versuche ich mich zu entspannen und auf einen einigermaßen guten Mittagsschlaf hinzuarbeiten, um dann am Abend wieder etwas fitter zu sein. Kopfschmerzen kenne ich mittlerweile in vielen verschiedenen Arten, die oft in Verbindung mit meinem Tinnitus stehen. Es ist kein besonders stechender Kopfschmerz, es fühlt sich eher so an wie eine Entzündung, aber eben im Gehirn. Dazu kommt der Tinnitus, der die Schmerzen piepsend unterstreicht.
Was auch total merkwürdig ist, ist meine Geräuschempfindlichkeit. Wenn ich einen einigermaßen guten Tag habe, könnte ich die meiste Zeit Podcasts hören. Vom Geräuschempfinden wäre das kein Problem. Wenn ich aber beispielsweise in der Reha 2 Stunden hintereinander einen Vortrag anhören muss, ist das unglaublich anstrengend. Oder wenn ich in einem Raum bin, in dem sich mehrere Menschen locker miteinander unterhalten, ist das extrem anstrengend. Das Verarbeiten mehrerer Reize, die verschiedene Sinnesorgane ansprechen und mein Gehirn auf mehreren Ebenen beanspruchen, bringt mich nach kürzester Zeit an meine Grenzen. Anschauen und zuhören, dabei gleichzeitig das Gehörte verarbeiten, darauf reagieren, sich die Wörter, die man sagen will, zurechtlegen, dann sprechen und währenddessen alles im Auge behalten, eventuell noch Gestik und Mimik erfassen und darauf abstimmen. All das ist für mich eine Multitaskinggeschichte, die mich sehr ermüdet. Dazu kommen dann auch so Dinge, dass ich bestimmte Tonlagen besser vertrage als andere.
So, das hört sich natürlich alles total beschissen an und das ist es natürlich auch. Aber anders als kurz vor Beginn der Reha, nach der Ansage ME/CFS, gehe ich jetzt wirklich sehr viel positiver mit der Sache um.
Zum einen bin ich durch die Reha endlich an einem Ort eingebunden, an dem ich ernst genommen werde und Hilfe bekomme, um damit umzugehen. Der Umgang mit den anderen Patienten ist toll und hat mich aus diesem Einzelkämpfermodus herausgebracht. Ich habe mit einigen anderen Patienten eine WhatsApp-Gruppe gegründet, in der wir uns unkompliziert und schnell untereinander über alles Mögliche austauschen können. Sie ist hilfreich für Erfahrungen, Tipps und Tricks, Ärzte, Diagnosen oder wenn man sich einfach mal kurz auskotzen will.
Zum anderen hat sich aber auch meine Perspektive deutlich geändert. Bis zu meiner ersten Nachricht haderte ich die ganze Zeit damit, nicht mehr der zu sein, der ich war, und trauerte meinem alten Leben nach. Ich sah oft nur die negativen Dinge und versank nicht selten im Selbstmitleid. Das sehe ich mittlerweile aber ganz anders. Insbesondere durch den Austausch mit anderen Patienten und durch das Lesen in Selbsthilfegruppen habe ich realisiert, wie privilegiert ich in der Gruppe der ME/CFS-Erkrankten bin.
Keine Kinder zu haben, ist schon mal ein guter Anfang. Es muss wirklich wahnsinnig schwer sein, diese Krankheit umgeben von Kindern zu durchleben. Man kann sich nicht einfach so zurückziehen und abschotten.
Ansonsten hat mich die Krankheit zu einem Zeitpunkt getroffen, der irgendwie vom Timing her ganz gut in mein Leben passt. Ich habe viel Zeit zum Nachdenken und kann, wenn ich mir alles gut einteile, eine für mich angenehme Zeit verbringen. Während ich vorher darüber verzweifelte, dass sich mein Leben komplett auf den Kopf gestellt hat und ich so viele Dinge nicht mehr machen konnte, bin ich mittlerweile dankbar dafür, all die Dinge zu sehen, die ich eben noch machen kann. Im Vergleich zu anderen Patienten geht es mir deutlich besser.
Äußerem kann ich wohl schon auch von wahnsinnigen Glück reden, dass ich in Wien, keine 2 km von der Praxis von Dr. Stingl lebe, der einzige Spezialist auf dem Gebiet ME/CFS. Vor über 3 Monaten habe ich den Termin gemacht und kann von Glück reden, dass ich überhaupt einen bei ihm bekommen habe. Er nimmt zurzeit nur wenig Patienten an, da er schon total überlaufen ist. Am 13. Februar ist der Termin und natürlich hoffe ich, dass er mir etwas weiterhelfen kann.
Diese Änderung der Perspektive hat sich tatsächlich nachhaltig auf meine Laune und generelles Wohlbefinden ausgewirkt. Ich schaue, trotz schlechtem körperlichen Befinden, mit einer positiven Ruhe in die Zukunft.
Wie es jemandem geht, der unter der Schweregrad "very severe" leidet , wird eindrucksvoll in einem gestrig erschienenem Spiegel-Artikel beschrieben, die ich (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12) mal verlinke, für alle die kein Abo haben und die es interessiert. Faraz Fallahi ist ein wirkich inspirierendes Beispiel und Vorbild im Umgang mit der Krankheit. Er ist einer der größten Aktivisten im Bereich ME/CFS und hat mit anderen ME Kollektiv gegründet. Eine Gruppe, die Projekte zur Krankheit ME/CFS und Long Covid mit ihrer Erfahrung und Wissen im deutschsprachigen Raum unterstützen.
Wie es jemandem geht, der unter der Schweregrad "very severe" leidet , wird eindrucksvoll in einem gestrig erschienenem Spiegel-Artikel beschrieben, die ich (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12) mal verlinke, für alle die kein Abo haben und die es interessiert. Faraz Fallahi ist ein wirkich inspirierendes Beispiel und Vorbild im Umgang mit der Krankheit. Er ist einer der größten Aktivisten im Bereich ME/CFS und hat mit anderen ME Kollektiv gegründet. Eine Gruppe, die Projekte zur Krankheit ME/CFS und Long Covid mit ihrer Erfahrung und Wissen im deutschsprachigen Raum unterstützen.
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