Ein Jahr Älter und ein Jahr Covid-Blog

Hallo,

vielen Dank an alle, die an mich gedacht haben, und an alle, die das nicht getan haben: auch nicht schlimm. Mir ist mein Geburtstag an sich gar nicht so wichtig, wichtiger ist mir, dass mir die Leute zwischendurch mal zeigen, dass sie an mich denken und mich teilhaben lassen an ihrem Leben, mit Fotos von ihren Kids, aus dem Urlaub oder einfach nur lustigen oder auch nicht so lustigen Anekdoten.

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich diesen Blog gestartet. Rückblickend war das schon eine gute Idee, gibt es doch euch allen die Möglichkeit, meine Situation im Blick zu haben. Mir nimmt es auch einige Arbeit ab. Da ich nach wie vor zu schwach bin, mich regelmäßig mit Freunden zu treffen, nimmt es mir das ständige Wiederholen ab. Ich bin schon froh, das Ganze hierhin ausgelagert zu haben, weil es ziemlich anstrengend und nervend ist, einen Großteil der so schon geringen Zeit, in der man sich sieht, damit zu vergeuden, über seinen Gesundheitsstatus zu reden. Ständig nur darauf reduziert zu werden. Ich weiß schon, dass es nett gemeint ist und natürlich auch ernst gemeintes Interesse, aber es gibt doch deutlich angenehmere Dinge, über die man reden kann.

Ausblick aus meiner Neuen Wohnung

Die Blutwäsche zeigt bisher leider noch keine Wirkung. Schwächephasen, Belastungsintoleranz und Reizempfindlichkeit sind im Prinzip genauso stark wie vorher. An meinem Geburtstag am Mittwoch musste ich das einzige Treffen, das ich mir vorgenommen hatte, absagen, weil ich mich zu schwach gefühlt habe. Ich hatte am Montag den ersten Termin für die neue Studie, habe danach noch einen Freund besucht, war einkaufen und bin am Ende des Tages fast 10.000 Schritte gelaufen. Mein normales Pensum liegt zwischen 3.000-4.000. Am Dienstag ging dann erstmal nicht viel. Mein ganzer Körper war total schlapp, ich habe mich den ganzen Tag nicht aus der Wohnung bewegt und habe den Tag auf der Couch und der Hängematte verbracht. An meinem Geburtstag habe ich mich dann schon etwas besser gefühlt, habe aber um die Mittagszeit gemerkt, dass ich das Treffen mit Tobi und seinem so unglaublich süßen Sohn Max, den ich jetzt auch schon viel zu lange nicht gesehen habe, mal wieder absagen muss. Stattdessen habe ich den Nachmittag Serien schauend auf der Couch verbracht und mir zur Feier des Tages am Abend ein Schnitzel bei meinem Lieblingsrestaurant "Gasthaus Kopp" um die Ecke geholt. Telefonieren ging gestern auch nicht wirklich, weil ich einfach zu müde dafür war. Mit "nicht gehen" meine ich tatsächlich nicht, dass es absolut nicht möglich gewesen wäre. Es wäre schlicht und einfach nicht "der Mühe" wert gewesen. Ich weiß mich und meine Kräfte mittlerweile ganz gut einzuschätzen und weiß, wann sich ein gewisser Aufwand lohnt oder nicht, ob es mir zu viel wird oder nicht. Gestern war es einfach okay für mich, meine Ruhe zu haben und die Glückwünsche so eintrudeln zu sehen.

Teil meiner Intention den Blogs zu schreiben ist auch, euch mal daran teilhaben zu lassen, wie das Leben eines Long-/Post-Covid-/ME-CFS-Patienten so aussieht. Ich denke, dass es interessant für die Gesunden unter euch ist und es vielleicht auch ein bisschen inspirierend sein kann für andere, denen es vielleicht auch nicht so gut geht, wegen was auch immer. Wenn ich diesen Geburtstag mit dem vom letzten Jahr vergleiche, gibt es einige Unterschiede und Parallelen. Damals wie gestern ging es mir körperlich gar nicht gut. Ich war gerade in einer Phase des Crashs aufgrund von vorheriger Überlastung. Jedoch ging es mir damals wie gestern ziemlich gut mit dem, was ist. Damals war ich jedoch noch lange nicht so im Reinen mit mir und meiner Krankheit, wie ich es heute bin. Ich wurde einen Tag vor meinem Geburtstag mit der Diagnose ME-CFS und dem Rat konfrontiert, dass ich unbedingt akzeptieren muss, dass die Krankheit nun ein Teil meines Lebens ist, ich mich von unrealistischen Genesungsperspektiven verabschieden muss. Dass ich einen Weg finden muss, mit dieser und nicht trotz dieser Krankheit zu leben. Diese Ansage war damals zwar sehr hart, hat mir aber endlich auch mal Gewissheit gegeben, womit ich es zu tun habe: eine Krankheit, gegen die es momentan weder heilende Medikamente noch Therapien gibt. Das letzte Jahr habe ich viel damit verbracht, mit dieser Akzeptanz zurechtzukommen. Musste lernen, dass dies bei einer chronischen Erkrankung eine ständige Aufgabe ist und nicht mit einem Mal getan ist. Dazu kam dann auch die Trennung von Kim nach einer 7-jährigen Beziehung, was natürlich auch nicht ganz einfach war. Es gab wirklich genug Gründe, die Nerven und die Hoffnung zu verlieren. Die wichtigste Lektion war tatsächlich, dass die Akzeptanz der neuen Tatsachen immer die Hauptsache ist. Natürlich ist das nicht mit einem Mal getan, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass dies bei vielen anderen Menschen fehlt im Werkzeugkasten der mentalen Stärke. Nur wenn man aus dem Hadern mit der Situation, dem Sichfragen "Warum ich?", "Wie habe ich das verdient?" etc., herauskommt, kann man im Folgeschritt einen Weg finden, einen Frieden mit der an sich ja nicht mehr zu ändernden Situation zu machen. Man wird auch nur dann mit sich selbst glücklich, wenn man akzeptiert, der zu sein, der man im Moment ist, mit allem, was dazu gehört. Für mich waren es die schlimmsten Phasen, in denen ich die ganze Zeit dachte, dass etwas mit mir nicht stimmt und dass man das so schnell wie möglich wieder ändern muss, damit ich wieder "normal" werde. Mit dem Selbstbild ist es vorprogrammiert, dass man unglücklich wird.

Für mich gehört auch dazu, sich keine falschen Hoffnungen zu machen. Das ist für mich Teil des Erwartungsmanagements. Wenn man zu hohe Erwartungen an bestimmte Therapien setzt, dann ist der Fall danach umso schlimmer. Deswegen wird es für mich auch kein Weltuntergang sein, wenn das mit der Blutwäsche nun nicht geklappt hat. Ein bisschen Hoffnung bleibt natürlich noch, dass sich noch Ergebnisse zeigen. Rechnen tue ich damit jedoch nicht. Für mich ist der Status Quo das neue Normal. Ich rege mich auch nicht darüber auf, dass ich ausgerechnet an meinem Geburtstag das einzige Treffen, das ich geplant hatte, absagen musste, weil das nun mal ein ganz normaler Teil meines Lebens ist und einfach dazugehört. Ich hoffe, dass ihr mich auch so seht. Denn auch wenn es lieb gemeint ist, ist die Thomas-Gottschalk-Art, einem Komplimente für etwas zu machen, was eigentlich komplett normal ist für die Person, nicht gerade aufbauend, sondern gibt einem eher das Signal, dass es gerade nicht normal ist, wie man ist, und dass es das eigentlich zu ändern gilt und dass es für Außenstehende ein doch so schreckliches Schicksal ist.

Ich fühle mich jetzt schon eine ganze Weile so mental stabil, wie noch nie seit Ausbruch meiner Krankheit. Selbst in körperlich schlechten Phasen fühle ich mich glücklich und habe Mittel und Wege gefunden, diese Zeiten ganz stoisch hinter mich zu bringen, ohne sie gleichzeitig zu verdammen oder mit mir selbst zu hadern. Ich wundere mich manchmal selber, wie lange das jetzt schon anhält, aber die Antwort darauf liegt in dem, was ich vorhin beschrieben habe, und dem Konzentrieren auf das, was eben doch noch schön ist im Leben, über das, worüber man stolz sein kann auf sich selbst, und das, worüber man glücklich sein kann, es zu haben, seien es nun Eigenschaften, Menschen um einen herum oder ganz profan ein Dach über dem Kopf in einer warmen Bude.

Vielen Dank für euer Interesse.

Severin

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