Grüße aus der Hängematte

Hallo,
mal wieder lange her seit dem letzten Update. Irgendwie kostet es mich immer ziemlich Überwindung, so einen Text zu schreiben. Da mich aber wieder einige nach einem Statusbericht gefragt haben und ich selber auch immer froh bin, es mal hinter mich gebracht zu haben, ist es nun mal wieder so weit. Schreibe den Text übrigens an der Donau, in meiner Hängematte liegend.
Dank E-Bike bin ich jetzt nämlich auch wieder mobil und dieser wunderschöne Spot ist gerade mal 10 Minuten von meiner Wohnung entfernt. Ich wüsste keine Millionenstadt, in der dies möglich ist. Wien im Sommer ist ein absoluter Traum.



     

Kurz nach meinem letzten Text sollte es sechs Wochen nach Graz gehen, um dort eine Hyperbarsauerstofftherapie zu machen. Das war leider nicht sonderlich erfolgreich. Nach zwei sogenannten Tauchgängen, die ich nach fünf Minuten schon abbrechen musste, wurde entschieden, dass ich ungeeignet dafür sei. Ich bekomme den Druckausgleich nicht hin. Hatte das Problem schon einmal vor über zehn Jahren beim Tauchkurs. Der Druck wurde immer stärker und letzten Endes bin ich total fertig, mit Kopfweh aus dem Container. Aus sechs Wochen wurden dann nur drei Tage. Ehrlich gesagt war ich aber tatsächlich froh, wieder nach Hause zu kommen. Meine Wohnung, aber noch viel mehr Günni und Ella, habe ich schon total vermisst. Es ist echt unglaublich, wie sehr ich diese zwei Katzen in mein Herz geschlossen habe. In Graz habe ich das erste Mal so richtig gemerkt, was für einen positiven Effekt die zwei auf mich haben. Ich rede den ganzen Tag mit den beiden. Beide sind sehr eigen und haben sehr unterschiedliche Charaktere.





Zurück in Wien habe ich mich dann noch einer Sache gewidmet, die ich schon seit über einem Jahr im Blick hatte. Im Rahmen meiner kognitiven Störungen hat mir mein Hausarzt mal einen klinisch-psychologischen Test empfohlen. Bei diesem kam heraus, dass ich wohl zu ADHS neigen könnte. Wer mich gut kennt, wird nun vielleicht wenig überrascht sein. Ich habe das jedoch nie wirklich wahrgenommen. Zumindest nicht wahrhaben wollen. Ein Grund dafür war auf jeden Fall das negative Image, das diese Disposition in unserer Gesellschaft, besonders in Deutschland, hat. Ich wollte nicht zu denen gehören, die ihre Faulheit und Schusseligkeit hinter einer neumodischen Diagnose verstecken. Stattdessen habe ich mich all die Jahre lieber selbst gegeißelt und mich verzweifelt gefragt, warum ich manchmal so schwer von Begriff, faul und unkonzentriert war, während ich doch in anderen Situationen so fleißig, schnell von Verstand und teilweise über Stunden super konzentriert sein konnte. Besonders beim Pokern hatte ich immer wieder mit mir gehadert. Wenn ich mir vornahm, eine gewisse Anzahl an Stunden zu einer bestimmten Tageszeit zu spielen, und dann auf einmal Fehler machte, die ich normalerweise nie mache, ging ich immer sehr hart mit mir ins Gericht. Wobei Poker an sich, vor allem das Spielen, noch am besten funktionierte. Bei dem Spiel ist ja ständig etwas los. Man muss dauernd Entscheidungen treffen. Für Menschen mit ADHS, die ständig an einem Mangel an Dopamin leiden, ist das natürlich besonders anregend. Allerdings läuft es beim Poker auch nicht immer gut. Streckenweise kann es sein, dass man lange Zeit nur verliert oder einfach keine interessanten Spielsituationen hat. Solche Phasen waren für mich immer eine richtige Qual, und um diese zu überwinden, habe ich mich in riskante und schlechte Aktionen hineingeredet, die mich dann auch direkt viel Geld und vor allem Nerven gekostet haben. "Warum mache ich so einen Scheiß, wenn ich doch genau weiß, dass dies komplett schlecht ist!"

Meine Antwort darauf waren immer mangelnde Disziplin, Gier und Leichtsinn. Alles ziemlich negative Eigenschaften, die auch mein Selbstbild ziemlich stark mitgenommen haben. Nachdem ich dann, eher durch Zufall, diese Einschätzung bekommen habe, dass ich ADHS haben könnte, hat sich schon, ohne dass ich es klinisch weiterverfolgt habe, einiges getan bei mir und in meinem Selbstbild. Plötzlich hat so ziemlich alles, woran ich an mir gezweifelt habe, eine rationale Erklärung. Aber eben nicht nur die negativen Eigenschaften, sondern noch viel mehr die, auf die ich stolz bin, sie zu haben. Meine Leichtsinnigkeit ist eben auch eine gewisse Unbefangenheit. Besonders im Umgang mit fremden Menschen habe ich keine Hemmungen, in Kontakt zu kommen. Ich scheue mich nicht, gewisse Risiken einzugehen. Klar, mache und sage ich dadurch mal dumme Dinge, aber letzten Endes habe ich dadurch viel mehr positive Erfahrungen als negative gemacht. Dinge, für die ich mich nicht so interessiere, fallen mir schwerer als anderen Menschen. Mich "zusammenzureißen" und das jetzt einfach mal auswendig zu lernen, stupide Hausaufgaben zu machen oder irgendwelche Formeln zu lernen, mit denen ich sicher eh nichts anfangen kann, ist mir schon immer so unglaublich schwer gefallen. Bei Dingen, die mich interessiert haben, war das Gegenteil der Fall. Da habe ich quasi alles in mich aufgesogen, ohne dass es große Anstrengung erforderte. Wenn es beim Pokern gut lief oder ich einfach nur gut drauf war, konnte ich stundenlang hochkonzentriert abliefern.

Diesen Teil über mich selber zu lernen hat mich schon viel zufriedener und deutlich gelassener im Umgang mit meinen Fehlern gemacht. Diese Gelassenheit und das positivere Selbstbild haben sogar direkt dazu geführt, dass ich weniger Fehler gemacht habe. Einerseits habe ich weniger Folgefehler gemacht, weil ich weniger Energie und Emotionen in die Verarbeitung des gerade gemachten Fehlers verwendet habe. Andererseits konnte ich mich auch besser einschätzen und anstatt mich zu zwingen, die Session jetzt anständig zu Ende zu spielen über den Zeitraum, den ich mir vorher vorgenommen habe, habe ich sie einfach guten Gewissens beendet, mit dem Wissen, dass ich gerade einfach nicht in der Lage bin, mich zu konzentrieren und dass es nicht daran liegt, dass ich undiszipliniert sei.

Ich hatte also schon einiges mitgenommen, allein durch die Einschätzung, ADHS zu haben, ohne dass ich irgendwelche klinischen Therapien gemacht oder Medikamente genommen hatte. Allerdings habe ich Anfang letzten Jahres gemerkt, dass ich wieder deutlich öfter in schlechte Gewohnheiten verfallen bin. Nach der verfehlten Immunadsorption und all den Therapien, die ich vergebens gemacht hatte, hat sich eine gewisse Resignation eingestellt. Ich war ziemlich desillusioniert und habe mich schon damit abgefunden, dass das wohl nichts wird mit der Genesung. Über den Tag hinweg habe ich ziemlich viel Süßzeug gegessen und auch sonst sehr ungesunde Sachen bestellt, sodass ich sogar schon ein paar Kilo zugenommen habe. Nicht viel, aber für meine Verhältnisse schon 10 kg über meinem Normalgewicht. Daraufhin habe ich mich bei einem Psychiater mal richtig durchchecken lassen und die Diagnose ADHS wurde dann auch offiziell bestätigt. Seitdem nehme ich auch Ritalin, was mir sehr hilft bei meinem impulsgesteuerten Drang, durch Essen einen Dopaminkick in mir auszulösen. Auch beim Pokern merke ich deutlich, dass ich nicht so schnell unruhig werde, wenn es mal eine Phase gibt, in der nicht so viel Action ist.

Durch einen Leidensgenossen bekam ich außerdem noch einen Tipp hierzu: www.ansrewire.com. Das ist eine Art Coaching im Umgang mit der Krankheit. Der Macher war selber sieben Jahre an ME/CFS erkrankt und hat sich durch einige Änderungen in seinem Leben bis hin zur vollen Genesung gekämpft. In diesem Online-Coaching gibt es jeden Tag ein neues Video, das die Krankheit im Detail erklärt und daraufhin Möglichkeiten aufzeigt, den Zustand zu verbessern. Die These, die weitestgehend auch Fakt ist, besagt, dass das zentrale Nervensystem gestört ist und man davon den Großteil aller Symptome hat. Die Ursache, weshalb dies so ist, ist erst einmal irrelevant. Entweder, wie bei mir, durch eine virale Infektion, oder bei anderen durch ein traumatisches Erlebnis (PTSD), kann es bei anderen durch Burnout bedingt sein. Ist das zentrale Nervensystem erst einmal aus dem Gleichgewicht, wirkt sich dies auf den gesamten Organismus aus. Immunsystem, Verdauung, Reiz- und Schmerzempfinden bis hin zu psychischen Problemen sind die Folge. Sein Ansatz ist es, so viele negative Einflüsse wie möglich vom zentralen Nervensystem zu nehmen. Das geschieht durch Stressreduktion auf allen Ebenen, Ernährung, Schlaf. Meditation ist auch sehr wichtig und noch einige andere Dinge, die jetzt zu weit führen würden, hier zu erklären. Auf jeden Fall hat mich das Programm wieder richtig motiviert und mir Hoffnung gegeben, dass sich ja vielleicht doch noch etwas ändern kann. Und das Beste dabei ist, dass ich nicht auf irgendwelche Therapien warten muss, sondern dass ich selber sehr viel machen kann. All das heißt natürlich nicht, dass ich in ein paar Monaten auf jeden Fall wieder gesund bin. Wenn ich, was auch vermutet wird, persistente Viren in mir trage und/oder mein Immunsystem weiterhin so viele Autoantikörper erzeugt, dass mein Körper total überfordert ist, wird ein Teil meiner Krankheit bleiben, solange es dafür eben keine Medikation gibt oder es aus irgendeinem anderen Grund irgendwann aufhört. Jedoch führt es so schon zu einer leichten Verbesserung und ist auch Voraussetzung dafür, dass, wenn mein Körper dann mal etwas mehr zu Kräften kommt, er dann auch den nötigen Raum hat, sich selbst zu heilen. Jedenfalls habe ich seitdem ich das Programm mache, mit Leichtigkeit von schlechten Gewohnheiten ablassen können, wie ich es vorher nicht für möglich gehalten habe. Ich esse ausschließlich nur noch gesunde Sachen, keine Süßigkeiten mehr, gehe jeden Tag um spätestens 22:30 schlafen und meditiere täglich.

Also nicht falsch verstehen. Mir geht es körperlich immer noch nicht viel besser als beim letzten Post. Mein Wohlbefinden und auch mein Optimismus, dass alles besser wird, haben sich aber deutlich gesteigert. Auch habe ich das Gefühl, dass die wirklich schlechten Phasen (Tage mit Kopfweh und starker Schwäche) deutlich weniger geworden sind. Gut, dass ich den Text hier auf meinem Handy, auf der Hängematte liegend, verfasse, ist auch schon mal nicht schlecht. Aber ich merke immer noch, dass mir Treffen mit anderen sehr schwer fallen. Nicht, dass ich mich nicht total freue, Leute zu sehen, im Gegenteil. Aber das Kommunizieren und das Sich-aufs-Gegenüber-Einstellen ist einfach sehr anstrengend für mich.

Zu guter Letzt kann ich noch verkünden, dass ich Anfang Mai mal eine Abrechnung gemacht habe. Zu dem Zeitpunkt hatte ich nämlich genau 12 Monate gepokert seit meiner krankheitsbedingten Pause. Dabei konnte ich feststellen, dass ich ausgerechnet in diesen 12 Monaten das mit Abstand beste Ergebnis in meiner ganzen Karriere als Pokerspieler erzielt habe. Das war schon eine ganz besondere Erkenntnis und hat mir sehr viel Genugtuung verschafft. So, jetzt reicht's dann auch mal. Danke für euer Interesse, Severin

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