Über die Hälfte durch ohne bisherigen Durchbruch

Hallo,

Die letzten Wochen waren ziemlich anstrengend. Nicht super schlecht, aber auch nicht gut. Ich habe viel nachgedacht – vor allem darüber, wie ich eigentlich selbst mit dieser ganzen Heilungssache umgehe. Was ich beeinflussen kann und was nicht. Und was ich vielleicht sogar aktiv falsch mache. Das ist inzwischen so ein Dauerthema geworden: diese ständige Selbstbeobachtung. Ich merke, wie ich in jeder Situation abchecke, ob das jetzt gut oder schlecht für mich ist. Ob es mich stresst. Ob ich mich dem Ziel nähere oder entferne – an was auch immer eigentlich.

Und das hat sich jetzt auch in den letzten Sessions wieder stärker gezeigt. Also thematisch. Ich gehe da ja meistens mit einem bestimmten Gedanken rein, manchmal ist es eher diffus, manchmal recht konkret. Und dann schält sich während der Session irgendwas raus, entwickelt sich, verzweigt sich, bekommt einen neuen Zusammenhang.

Am Anfang hab ich ganz einfache Themen mit reingenommen. Einmal zum Beispiel war ich nach einem schlechten Pokertag richtig mies drauf – ich hatte gegen jemanden verloren, mit dem ich so eine kleine Rivalität habe. Hat mich ziemlich gekränkt. Und in der Session habe ich dann angefangen zu verstehen, woher das eigentlich kommt. Warum mich sowas so mitnimmt. Ob es wirklich um das Spiel ging – oder um was anderes. Am Ende bin ich irgendwie ein bisschen versöhnter da raus und konnte mir auch gewisse Copingstrategien erarbeiten. 

Ich frag mich immer wie ich so eine Stunde Ketamin wem erklären soll, aber vielleicht ist das Wort Moodboard ganz gut aus dem Bereich Marketing. Man nimmt gewisse Themen mit hinein und dazu erscheinen dann Verknüpfungen emotionaler Natur und andere Themen, die damit evtl korrespondieren. 

Und in den letzten Sessions stand dann oft das Thema „Winterdomizil“ im Mittelpunkt. Also, wo ich den Winter verbringen will, ob ich mir wirklich gleich eine Wohnung dafür leisten möchte und ob Malaga die richtige Entscheidung ist – und am Ende war die Entscheidung für die Wohnung in Malaga auch so eine Art innerer Abschluss in einer der Sitzungen. Das klingt vielleicht komisch, aber es war ein Moment von Klarheit. Oder zumindest: von innerem Einverständnis.

Aber auch wenn diese kleinen Durchbrüche da sind – der Alltag ist trotzdem oft richtig hart. Ich lebe jetzt seit über drei Jahren in diesem Zustand. Und obwohl ich immer wieder kleine Lichtblicke habe, bleibt diese latente Ungeduld. Ich frag mich: Warum dauert das so lange? Warum geht’s bei anderen schneller? Mache ich etwas falsch?

Ein Kollege von mir hat die gleiche Therapie gemacht – der hat sich nach der siebten Infusion deutlich besser gefühlt, joggt mittlerweile wieder regelmäßig. Bei mir hat sich mein Gesamtzustand eher verschlechtert in den letzten zwei Wochen. Reizempfindlichkeit, Anspannung und Müdigkeit sind sehr hoch. Ich habe ständig Tinnitus und leichtes Kopfweh.

Ich versuche mich damit zu trösten, dass ich zumindest nicht nur im Bett liege, wie er es teilweise getan hat. Ich funktioniere – irgendwie. Ich mache meine Routinen. Ich koche, ich spiele Poker, ich meditiere. Aber von einer Heilung – oder auch nur von so etwas wie einer echten Erleichterung – bin ich noch weit entfernt.

Und dann ist da halt das Thema Poker.

Das beschäftigt mich auf mehreren Ebenen. Einerseits ist es das Einzige, was mir aus meinem alten Leben geblieben ist. Ich verdiene gutes Geld damit, ich kann mich konzentrieren, es fordert mich geistig. Ich habe zumindest das Gefühl, produktiv zu sein. Und was für mich schon auch wichtig ist: Ich sehe, dass ich da noch auf einem extrem hohen Niveau mithalten kann. Ich messe mich mit anderen – teilweise richtig guten Spielern – und merke, dass ich da nicht nur mithalten kann, sondern oft auch besser bin.

Das gibt einem was. Vielleicht ist es Anerkennung, auch wenn sie nur im Stillen passiert. Oder einfach das Gefühl, dass ich nicht komplett abgebaut habe. Dass ich inmitten von allem, was weggebrochen ist, in diesem Bereich immer noch funktioniere – sogar ziemlich gut. Es ist wie so eine Art Kontrollzone: Ich weiß, wie das Spiel funktioniert, ich kenne die Muster, ich kann darin Entscheidungen treffen, und ich sehe direkt, ob sie gut oder schlecht waren. Das ist ein Unterschied zu vielen anderen Lebensbereichen gerade.

Aber gleichzeitig: Es ist zwangsläufig auch emotional und kognitiv belastend. Wenn’s schlecht läuft, muss man damit auch klarkommen. Ich muss versuchen, mich weniger zu ärgern und nicht in negative Gedankenspiralen zu kommen – das Ganze ohne die Möglichkeit zu haben, durch eine Sporteinheit mal richtig Dampf abzulassen. Aber selbst wenn es gut läuft – die Anspannung, die Konzentration, das ständige Abwägen sind schon sehr anstrengend.

Und dann spielt natürlich auch das Thema Dopamin eine Rolle. Gerade mit meiner Grunderkrankung und dem ADHS-Hintergrund ist das etwas, was immer mitschwingt. Poker kann da kurzfristig ein gutes Gegengewicht sein – es fordert mich, es gibt mir ein Ziel, und wenn’s gut läuft, gibt es auch ein klares Belohnungssystem. Aber es ist eben auch so, dass wenn’s längere Zeit nicht läuft, eine gewisse Unruhe aufkommt. Kein Kontrollverlust oder so, aber so ein inneres Ziehen. So ein „Ich brauch jetzt wieder einen guten Tag“-Gefühl.

Deshalb hab ich für mich jetzt einen relativ klaren Rahmen gesetzt: Ich spiele nur morgens, wenn ich frisch bin. Und ansonsten konzentriere ich mich eher auf Theorie, Analysen, Coaching – alles, was ein bisschen ruhiger ist. Das klappt ganz okay, würde ich sagen.

Mein Alltag ist komplett durchgetaktet. Ich frühstücke, setze mich an den Rechner, spiele oder mache Theorie. Dann lege ich mich wieder hin, meditiere. Mittags koche und esse ich, danach vielleicht ein bisschen lesen oder an die Donau – wenn ich mich fit genug fühle. In den letzten Wochen bin ich aber schon mittags so erschöpft, dass ich eigentlich nur noch liegen kann. Meine Garmin-Uhr zeigt mir dann ein Stresslevel, das mir signalisiert: Der Tag ist gelaufen.

Und wenn draußen die Sonne scheint, 30 Grad, und der Sommer ruft – und ich bin zu fertig, um überhaupt rauszugehen. Wenn ich dann doch fahre, dann ist das oft mit dem letzten Rest Kraft. Und am nächsten Tag bin ich noch platter. Ich habe seit gestern nun wieder ein E-Bike zur Miete – einfach, um möglichst wenig Kraft zu verbrauchen, aber trotzdem regelmäßig an die Donau zu kommen. Auch wenn’s anstrengend ist, tut mir das grundsätzlich gut. Der letzte Sommer war ja so ein bisschen die Blaupause für diesen Sommer. Ich hatte extrem hohe Erwartungen, dass ich jetzt – mit der Ketamintherapie, mit besserer Planung – irgendwie viel mehr schaffen würde. Und dann habe ich mir neulich mal angeschaut, wie viel ich eigentlich letztes Jahr im Juni Rad gefahren bin. Es waren keine fünf Kilometer. Diesen Juni habe ich schon fast 80 Kilometer auf dem Tacho. Und das mit Therapie, Schwächephasen und allem. Das zeigt schon, dass ich oft mit völlig überzogenen Maßstäben an mich rangehe. Und dass ich vieles, was ich tatsächlich leiste, gar nicht als Fortschritt erkenne.

Mein Sehnsuchtsort im Sommer


Wenn ich dann mal nicht an die Donau fahre – sei es, weil mein Stresslevel laut Garminwatch schon zu hoch ist oder weil ich merke, dass ich’s einfach nicht schaffe – dann bleibe ich halt zu Hause. Und das ist dann nicht irgendwie nett oder entspannt. Das ist einfach verdammt langweilig. Es ist 14 Uhr, ich bin schon platt – und trotzdem liegen noch sieben, acht Stunden vor mir, bis ich endlich schlafen kann.

Lesen geht schon, aber für so lange Zeit bei dem Wetter draußen auch eher unbefriedigend. Wenn Tennis läuft, ist das immerhin noch was. Aber selbst das ist anstrengend – einfach so lange auf den Bildschirm zu schauen, fordert mich mehr, als es sollte.

Und so zieht sich der Tag dann oft zäh dahin. Ich weiß nicht, was ich machen soll, aber ich weiß auch, dass alles, was ich machen könnte, potenziell wieder zu viel ist. Ich kann nicht mal mehr einfach irgendwas tun, ohne mich zu fragen: Ist das jetzt eigentlich gut für meine Heilung? Oder stresst es mich am Ende wieder mehr, als es bringt?

Diese ständige Bewertung – von allem – ist irgendwann komplett absurd. Ich kann mich nicht mal wirklich freuen oder einfach über was ärgern, ohne sofort den Impuls zu haben, das einzuordnen. War das zu viel? Habe ich’s übertrieben? Ist das kontraproduktiv? Selbst das Innehalten fühlt sich manchmal wie Arbeit an.

Und dann eben dieser Zielkonflikt. Ich will gesund werden. Dafür muss ich Stress vermeiden. Aber die Vermeidung des Stresses ist selbst stressig. Ich will Disziplin, Routinen, Kontrolle – aber auch Freiheit, Dopamin, Leben. Ich will arbeiten, aber darf mich nicht überlasten. Ich will Spaß, aber er darf nicht zu viel Energie kosten. Und egal, was ich tue – ich frage mich immer, ob es das Richtige ist. Ob es meiner Heilung dient. Ob ich mir schade. Dieses permanente Hinterfragen ist ein Nebenkriegsschauplatz, den man irgendwann kaum noch aushält.

Mir war’s einfach mal wichtig, das alles ein bisschen aufzuschreiben. Mal einen persönlicheren Text zu machen, der zeigt, mit was für Zerwürfnissen man da eigentlich die ganze Zeit konfrontiert ist. Allein das Schreiben hilft mir ehrlich gesagt schon ziemlich – einfach, um es mal loszuwerden. Das ist auf jeden Fall eine Strategie, die ich jedem empfehlen kann. Ob öffentlich oder nicht, ist dabei eigentlich egal.

Und klar, ich komme grundsätzlich klar. Aber es ist trotzdem wichtig, sich selbst zwischendurch nochmal vor Augen zu führen, mit was für einem Monster an Herausforderungen man da eigentlich jeden Tag umgehen muss. Und dass es einfach dazugehört, dass man in Phasen gerät, in denen man denkt, man hat die Kraft nicht mehr dafür. Das gehört halt auch dazu.

Am Montag geht’s weiter mit Infusion Nummer neun. Der Plan ist wohl, das Ganze bis zu 15–16 Mal zu machen und dann mal weiterschauen. Im Moment denke ich, dass es darüber hinaus erstmal nicht mehr so viel Sinn macht.

Danke für euer Interesse,
Severin

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